Fehlgeburt: Entscheidungen, Mythen und medizinische Möglichkeiten

Bettina Disler's Blog

Ein Gespräch mit Dr. Schmädecker, Leitender Arzt der Frauenklinik im GZO Spital Wetzikon und Bettina Disler, Paartherapeutin und Sexualberaterin

 

Aus der Interviewreihe Med Talk in „Love, Sex & Science“ von Bettina Disler


Eine Fehlgeburt ist für viele Frauen und Paare ein tiefgreifendes Ereignis, nicht nur körperlich, sondern auch emotional. In meiner Arbeit als Paar- und Sexualtherapeutin erlebe ich immer wieder, wie überfordernd diese Erfahrung sein kann. Besonders dann, wenn Betroffene sich mit ihren Ängsten, Fragen oder Unsicherheiten allein gelassen fühlen.

Umso wichtiger ist es, medizinisches Know How zugänglich zu machen. Im folgenden Interview teilt Dr. Schmädecker seine Sicht auf häufige Fehlinformationen, aktuelle Behandlungsmöglichkeiten und wichtige Entscheidungsgrundlagen nach der Feststellung einer Fehlgeburt.

 

Was sind typische Fehlinformationen bei Fehlgeburten?

Dr. Schmädecker: Nicht selten werden Patientinnen mit einer Fehlgeburt zur Ausschabung geschickt mit teilweise recht lapidaren Aussagen wie „das muss raus!“, gefolgt von einem „so schnell wie möglich!“. Traditionell wurde immer argumentiert: „das gibt eine Infektion, wenn das nicht operiert wird,“ „da können Sie dran verbluten“, oder sogar „das wird zu Krebs!“

Tatsächlich ist das Zuwarten oder die konservative Therapie mit Tabletten in Studien mit einem niedrigeren Infektionsrisiko verbunden, der Blutverlust ist vergleichbar zum operativen Verfahren und die Entartung zu Krebs ist extrem selten und nur bei sogenannten Trophoblasttumoren überhaupt zu erwarten, die man heutzutage sehr einfach in der Ultraschalluntersuchung vermuten kann. 

Wir dürfen nicht vergessen, dass wir als Spezies seit Jahrtausenden mit Fehlgeburten konfrontiert und auch sehr gut ohne die Ausschabungen zurechtgekommen sind. Dazu kommt, dass die Ausschabung auch Risiken wie Organverletzungen oder Verklebungen der Gebärmutterhöhle birgt, die in etwa 10% der Fälle auftreten und Probleme mit der Fruchtbarkeit verursachen können. 

 

Wann ist eine Ausschabung nach einer Fehlgeburt medizinisch notwendig?

Dr. Schmädecker: Der wichtigste Faktor ist der Wunsch der Patientin. Ist die Situation für die Patientin emotional nicht tragbar oder die Vorstellung, Schmerzen und Blutung zu erleiden mit Angst und Sorge verbunden, sollte sicherlich die Operation angeboten werden. 

Meine Erfahrung ist aber, dass die meisten Patientinnen sich nach einer sensiblen und sorgfältigen Aufklärung für das konservative Verfahren entscheiden. 

Dazu kommen medizinische Indikationen wie sehr starke Blutung (ungefähr 1% der Fälle), eine Infektion der Gebärmutter (der sogenannte septische Abort, circa 0,5-1%), oder im Ultraschall der Verdacht auf einen Trophoblasttumor (z.B. die sogenannte Blasenmole), die eine operative Behandlung erfordern können.  

 

Warum wird Patientinnen trotz Alternativen oft zur Ausschabung geraten?

Dr. Schmädecker: Dies hat, denke ich, am ehesten mit dem mangelnden Wissen der Kolleginnen und Kollegen zu tun, die es damals in ihrer Ausbildung einfach so gelernt haben. Hier ist Aufklärung wichtig.

Mit dem Nachrücken zunehmend jüngerer Generationen in die Praxen ist hier bereits ein positiver Trend zu verzeichnen. Dazu kommt, dass wenn eine Operation geplant ist, fast kaum jemand weiss, dass es mittlerweile sehr schonende Techniken gibt, bei denen der Eingriff unter endoskopischer Sicht erfolgt und die in Studien zahlreiche Vorteile gezeigt haben. Bei uns im GZO Spital Wetzikon ist dieses Verfahren mittlerweile Standard.

 

Welche Rolle spielt ärztliche Kommunikation nach einer Fehlgeburt?

Dr. Schmädecker: Sicherlich eine ganz zentrale. Ich denke, hier gilt es, einen gesunden Mittelweg zu finden. Natürlich bin ich als Arzt auch Mensch und nehme Teil an der leidvollen Erfahrung der Patientin. Gleichzeitig bin ich der Behandler in medizinischen Fragen, und muss auch ein gewisses Mass an Distanz wahren, um gute Entscheidungen treffen zu können. 

Letztenendes will ich auch Hoffnung vermitteln, denn eine Fehlgeburt ist in den ersten 12 Wochen leider eine sehr häufige Erfahrung (gut 10-20%), aber die meisten Patientinnen werden danach wieder problemlos schwanger und bringen auch ein gesundes Baby zur Welt!

 

Therapeutische Perspektive bei Fehlgeburt: Emotionale Verarbeitung, Nähe und Entscheidungen

Die Aussagen von Dr. Schmädecker zeigen eindrücklich, wie wichtig eine fundierte medizinische Aufklärung und die damit verbundenen Wahlmöglichkeiten für Patientinnen sind. Gleichzeitig erleben Betroffene, wie stark eine Fehlgeburt auch die emotionale Welt erschüttern kann, individuell und in der Partnerschaft. Viele Paare empfinden diese Zeit als belastend, weil Gefühle unterschiedlich stark oder unterschiedlich schnell verarbeitet werden. Während manche in der gemeinsamen Trauer Halt finden, erleben andere Distanz, Missverständnisse oder Unsicherheit im körperlichen Miteinander.

Nicht selten berichten Betroffene, dass sie sich in der ersten Phase nach der Diagnose oder dem Eingriff überfordert fühlen. Gespräche über Ängste, über das „Wie weiter?“ oder über die körperliche und emotionale Nähe nach dem Verlust bleiben häufig aus Rücksicht, Scham oder Unsicherheit unausgesprochen.

Gerade in dieser verletzlichen Phase kann therapeutische Begleitung sehr hilfreich sein: um einen geschützten Raum zu schaffen, in dem Mitgefühl, Wissen und ehrliche Gespräche über medizinische Entscheidungen, über Trauerprozesse, über Intimität und neue Perspektiven als Paar möglich sind.

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