Paartherapie mit ADHS: Beziehungen zwischen Intensität und emotionaler Regulation

Bettina Disler's Blog

Wie ADHS die Beziehung herausfordert

Leben mit ADHS in einer Partnerschaft ist oft ein Drahtseilakt. In meiner Arbeit als Paartherapeutin zeigt sich, dass diese Beziehungen besonders intensiv und lebendig sind, dabei aber auch herausfordernde Dynamiken mit sich bringen: Neurobiologische Merkmale wie veränderte Dopaminregulation, eine hohe Sensitivität gegenüber Reizen und unkontrollierte Emotionssteuerung beeinflussen massgeblich, wie Beziehungen erlebt und aufgebaut werden. In der Paartherapie werfen wir gemeinsam einen Blick darauf, wie diese neurodivergenten Muster, Wünsche und Potenziale in Wechselwirkung miteinander stehen und wie sie die Beziehung nicht nur fordern, sondern auch bereichern können.

 

Intensität durch Dopamin

ADHS bringt Leidenschaft, Kreativität und emotionale Tiefe in die Partnerschaft. In den ersten Phasen einer Beziehung feuert Dopamin das Belohnungssystem besonders stark an, sodass bei Betroffenen ein intensiver Hyperfokus auf die Partnerin oder den Partner entsteht. Mit dem Einzug von Alltag und Routine fällt der Dopaminspiegel jedoch wieder ab.

Menschen ohne ADHS verfügen über ein ausgeglichenes Dopaminsystem, das ihre Aufmerksamkeit, Motivation und Aktivität steuert. Bei ADHS hingegen schwankt die Wirkung von Dopamin stark. Dadurch erleben Betroffene einerseits Phasen mit (zu) viel Energie, andererseits solche, in denen sie sich müde und unmotiviert fühlen. Diese „Löcher“ entstehen, weil das Gehirn nicht konstant genug Dopamin bereitstellt, um Motivation und Antrieb stabil aufrechtzuerhalten. Ist das Nervensystem unterstimuliert, wächst das Bedürfnis nach einem neuen „Kick“. Diese externe Reizsuche kann sich unter anderem in einer Flucht in Arbeit, exzessivem Medienkonsum, impulsivem Verhalten, substanzbezogenem Konsum oder der Suche nach sexuellen Reizen äussern.

Weniger offensichtlich ist die nach innen gerichtete Regulation: Manche Betroffene ziehen sich in Traumwelten zurück, verlieren sich in Gedankenschlaufen und neigen zu Perfektionismus oder versuchen, durch Kontrolle und Struktur wieder Stabilität herzustellen.

Beide Ausdrucksformen dienen demselben Zweck: Das Gehirn sucht nach Reizen oder Aktivitäten, die die Ausschüttung von Botenstoffen wie Dopamin steigern, um das chemische Ungleichgewicht im Gehirn auszugleichen.

 

Impulssteuerung und biografische Prägung

Schon kleine Irritationen können bei Menschen mit ADHS intensive emotionale Reaktionen auslösen. Diese Muster sind nicht nur neurobiologisch bedingt, sondern oft auch biografisch geprägt. Viele Betroffene haben in ihrer Entwicklung wiederholt die Rückmeldung erhalten, „zu viel“, „zu empfindlich“ oder „nicht richtig“ zu sein. Solche Erfahrungen hinterlassen Spuren: Sie können zu tief verankerten Überzeugungen führen, die in späteren Partnerschaften leicht reaktiviert werden. Die Folge ist eine erhöhte emotionale Empfindlichkeit gegenüber tatsächlicher oder auch nur vermuteter Zurückweisung oder Kritik.

 

ADHS und Paarkompetenz

Menschen mit ADHS bringen erhebliche Stärken in Partnerschaften ein. Dazu zählen eine hohe emotionale Sensibilität, ausgeprägte Empathie, kreative Lösungsansätze, spontane Liebesfähigkeit und eine starke Bindungsbereitschaft. Viele verfügen phasenweise über eine beeindruckende Antriebskraft und viel Energie. Sie können andere mit ihrer Begeisterung mitreissen, denken oft „out of the Box“ und eröffnen inspirierende Perspektiven auf gemeinsame Themen. Spontaneität, Ideenreichtum und emotionale Intensität sorgen dafür, dass in ihren Beziehungen selten Langeweile aufkommt. Fast immer ist etwas in Bewegung, sei es durch lebendige Gespräche, überraschende Impulse oder einen besonderen Sinn für Humor. Diese lebendige Präsenz und die Tiefe des emotionalen Erlebens können Beziehungen intensiv, dynamisch und sehr erfüllend machen, wenn sie von gegenseitigem Verständnis, Akzeptanz und emotionaler Sicherheit getragen wird. 

 

Die Perspektive der Partner:innen von ADHS

Partnerinnen und Partner von Menschen mit ADHS erleben die Beziehung häufig als ambivalent. Auf der einen Seite stehen emotionale Nähe, Spontanität und eine kreative Verbindung, auf der anderen Seite aber auch Unzuverlässigkeit, Reizbarkeit, fehlende Alltagsstruktur oder impulsive Entscheidungen, die das Vertrauen belasten können. Nicht selten entsteht daraus ein Gefühl emotionaler Unvorhersehbarkeit, das über längere Zeiträume hinweg zur Erschöpfung führt.

Für eine gelingende Partnerschaft ist es entscheidend, dass Partner:innen die neurobiologischen Hintergründe von ADHS verstehen und ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass ADHS anders fühlt, denkt und liebt. Es braucht eine offene und ehrliche Kommunikation über Bedürfnisse, Grenzen und den Umgang mit gemeinsamen Herausforderungen. Verstehen sich beide als Team, kann eine Beziehung mit ADHS besonders lebendig, tief und verbindend sein.

Gerne begleite ich Sie in meiner Praxis für Paartherapie und Sexualberatung auf Ihrem Weg zu mehr Verbindung, Verständnis und Intimität.

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